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Ansicht's Sache - die andere Sicht der Dinge

 

Bildung und Arbeit                   22. Febr. 2019 

Jassan ist 20 Jahre und hat nachdem er nur zwei Jahre in Deutschland war, schon einen Ausbidlungsplatz bekommen. Während seiner Berufsausbildung lebt er von den 650 Euro, die er monatlich verdient. Nicht viel. Das ist dumm, sagen seine Landsleute, die im ungelernten Job arbeiten und schon 1000 bis 1400 Euro monatlich nach Hause bringen.
Klar, das geht, doch in der Berufsschule lernt Jassan nicht nur Fachspezifisches, sondern auch Gesprächsführung, Politik, Englisch und vieles mehr. Das erweitert seinen Horizont sehr. Seine Allgemeinbildung nimmt zu. Er lernt viele Fachausdrücke und erweitert seinen Wortschatz immens. Das ist ihm mehr wert als das Geld, das er später ja immer noch verdienen kann.

Früher dachte er nicht so, doch das hat er in Deutschland schon gelernt: Bildung ist oft mehr wert als bares Geld. Seine Sprache hat sich sehr verbessert und nun kann er anderen, die nicht die Chance hatten in Deutschland auf die (Berufs-)Schule zu gehen, schon helfen sich zurecht zu finden.

 

 

Meine Krönung             .22. März 2016

 Ich gähne uns telle fest, dass Mohammed mir genau auf den Mund schaut. Das ist mir peinlich - ich habe doch die Hand vor dem Mund, warum schaut er so komisch? Dann sagt er zu mir: "Mach mal den Mund ganz weit auf." Ich bin irritiert. Was will er denn von mir? Aber er ist ein 14-jähriger Junge, der erst kurz in Deutschland ist, vielleicht hat er meine Krone gesehen. Und tatsächlich, als ich den Mund öffne sagt er ganz erfreut: "Du hast einen Goldzahn! Nichtwahr, du bist reich!" Da fällt es mir wieder ein, ja - ich habe eine Goldkrone im Mund. Doch es ist kein massiver Goldzahn - nur eine Goldkrone. So reich bin ich nicht. Und in unseren Breiten ist das auch nicht die gängige Geldanlage, das ahnt Mohammed jedoch noch nicht.

 

Er sagt ganz stolz: "Meine Mutter hat auch Goldzähne". Dann korrigiert er sich. "Sie hatte viele Goldzähne". Er zeigt mir wo seine Mutter die Goldzähne hatte und fügt hinzu: "Jetzt hat sie keine mehr. Du weisst doch bei uns ist Krieg. Sie hat alle verkauft." Ich wage nicht zu fragen, ob seine Mutter jetzt Zahnersatz hat oder nicht? Wahrscheinlich hat sie keine anderen Zähne finanzieren können als sie die Goldzähne entfernen lies. Mohammed freut sich währendessen, dass ich auch Gold im Mund habe und lächelt.

 

Ich allerdings sinne nach: Wie viele Leute haben in seinem Land wohl in Goldzähne investiert und jetzt im Krieg wieder verkauft? Was für eine Welt? Ich hoffe ich muss meine Goldkrone (es ist kein Goldzahn - nur eine Krone) nie verkaufen!

 

Land der Lebenden                                       1. Dez. 2015

Wir sitzen vor dem Fernseher, die Nachrichten der Attentate von Paris laufen..... Man hört die Zahlen der Opfer. Es gibt Verletzte und Tote. Ali, der seit einem Jahr in Deutschland lebt stellt fest:
                    "Seitdem ich hier in Deutschland bin, habe ich gar keine Toten gesehen.
                     Bei uns zu Hause war das ganz anders. Ständig starb jemand
                     ... wir sahen die Leiche.... Oft auf der Straße bei Explosionen.
                     Hier habe ich noch gar keine Leiche gesehen.....
                     Ein ganzes Jahre habe ich keinen Tod in der Umgebung erlebt. Nie war ich zur Beerdigung eingeladen....
                     Super, endlich bin ich im Land des Lebens!"

Für ihn ist das Leben hier super, egal wie eng er wohnt. Er kommt aus einem Kriegsland. Klar, dort gab es ständig Tote. Hier sieht und hört er davon nur im Fernsehen - zum Glück.

 

Die andere Sicht: trockene Haare?                22. Oktober 2015

Nach dem Urlaub komme ich in unsere multikulturelle Wohngemeinschaft zurück. Meine neue Frisur löst bei den Flüchtlingen Reaktionen aus. Neben dem freudigen Wiedersehen, Erzählen und gemeinsamem Essen, stellt ein Afrikaner fest: "Deine Haare hast du geschnitten, aber sie sind trocken, du hast sie nicht geölt. Du brauchst unbedingt Öl für deine Haare, was hast du nur gemacht?"

 

Das ruft Erinnerungen an meine eigenen Afrikajahre zurück. Dort war es so, dass die Frauen sich täglich das Haar einfetteten, genauer gesagt einölten. Somit ist es besser zu frisieren. Außerdem kann so Staub entfernt werden. Und einander die Haare zu ölen ist gleich dem gegenseitigen Segnen. Es ist wie eine Salbung. Nichts ist schlimmer als ohne Segen, in der Welt herumzulaufen. Segen ist sichtbar durch das fettig glänzende Haar :-).

 

Mütter nehmen morgens einige Tropfen Haaröl in die hohle Hand, verteilen sie auf beiden Händen durch aneinanderreiben und streichen die flachen Hände von der Stirn aus über den Kopf der Kinder. So werden die Kinder, bevor sie aus dem Haus zur Schule gehen, gesegnet. Die spirituelle Frau spricht oder murmelt bei dieser "Salbung" einen Segen für das Kind: "Gottes Licht begleite und leite dich heute". Eine sehr schöne Sache fand ich immer.

 

Jetzt erinnerte ich mich an diese Zeit. Wie komisch muss es für Zuwanderer aussehen, wenn wir mit frisch gewaschenen fliegenden, für sie "mit trockenen" Haaren herumlaufen? Sie fragen sich dann: Warum pflegen sich die Leute hier so wenig? Die hätten doch sicher das Geld für Haaröl? Es ist eine unverständliche Welt. Und klar, dass jeder sich gleich Haargel zulegt, Haaröl gibt es hier anscheinend nicht überall, stellen sie fest. Doch da stellt man sich eben um.

 

Also: Kein Stress mit zu viel Haarewachen; denn etwas fettiges Haar kann durchaus auch positiv wahrgenommen werden - zumindestens von einigen der zugewanderten Mitbürgern.

 

Und ist es nicht auch mit vielen anderen Dingen im Leben so? Man kann alles von mindestens zwei Seiten sehen. Das was mich heute stört, hat sicher ebenso Gutes. Alles kann auch ganz anders gesehen werden :-). Wie wäre es das heute mal zu testen?